„Narziss und Goldmund“ Filmkritik – Die ewige Suche nach der Großen Mutter

  

Kennen Sie Hermann Hesses Erzählung von „Narziss und Goldmund“, welche zwischen 1927 und 1929 veröffentlicht wurde? Wenn nicht, ist das überhaupt nicht schlimm und für einen Besuch im Kino auch wenig relevant, denn in dem neuen Film von Regisseur Stefan Ruzowitzky wird wenig von der Essenz der Vorlage eingefangen. Von Friedrich Nietzsches prägendem Einfluss fehlt ebenfalls weitgehend jede Spur und die umfangreiche Archetypenlehre, welche eigentlich die komplette Handlung durchzieht, beschränkt sich in der filmischen Umsetzung auf Goldmunds beständiger Suche nach der Großen Mutter, jedoch ohne die tiefere Bedeutung seiner Motivation zu beleuchten.

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Zusätzlich hat man sich entschieden, dass eigentlich überschaubare Werk mit seinen nicht unbedingt subtilen Aussagen an mehreren Stellen abzuändern und ihm ein alternatives Ende zu verpassen. Ein nicht unbedingt seltenes Vorgehen, wenn es um die Produktion von Buchverfilmungen geht, jedoch stellt sich in diesem Fall die Frage nach dem Warum. Die Änderungen berauben der Geschichte die angestrebte Pointe, reduzieren weite Teile der Handlung auf oberflächliche Dramatik und degradieren das literarische Werk auf durchschnittliche Wochenendunterhaltung.

Wo Hermann Hesse tief verwurzelte, psychologische Geheimnisse ins Auge gefasst hat, beschränkt sich die Filmversion oftmals darauf, einzelne Schlüsselszenen abzuarbeiten.

Zur Handlung

Die Geschichte handelt von den beiden Klosterschülern Narziss und Goldmund, die bereits kurz nach ihrem Kennenlernen zu besten Freunden werden. Während Narziss sich komplett dem Leben eines gottesfürchtigen Mönchs verschrieben hat, ist Goldmund ein eher unruhiger, fast schon zügelloser Charakter, ständig geplagt von Fernweh und der Suche nach einem unbekannten Ziel. Nasrziss, der den Wunsch seines Freundes nach Freiheit spüren kann, ermutigt Goldmund aus mehr als nur einen Grund, das Kloster zu verlassen.

Ein wichtiger Aspekt der Handlung ist, dass die zwei Hauptfiguren zwar grundverschieden sind, sich jedoch beide auf ihre Art auf der Suche nach Vollkommenheit befinden. Narziss glaubt diese in geistiger und religiöser Annäherung an die Idee des vollkommenen Lebens und Gott gefunden zu haben, während Goldmund sein Schicksal in dem Dasein als Wanderer und Künstler sucht, jedoch stets angetrieben von der Suche nach der Mutter, mit welcher mehr als nur die eigene Erzeugerin gemeint ist. Erst nach vielen Jahren begegnen sich die beiden zu Männern gewordenen Freunde wieder.

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Narziss und Goldmund – Eine Kritik

Nimmt man den Schöpfern dieses Werks die Änderungen nicht übel und versteht sie als moderne Interpretation eines in die Jahre gekommenen Textes, kann man der Geschichte mit einem zugekniffenen und einem zwinkernden Auge einiges abgewinnen. Die dramatische und tiefschürfende Geschichte wurde von Stefan Ruzowitzky stellenweise unterhaltsam sowie gleichsam anklagend aufbereitet, mit einigen deutlichen Statements und einem durchweg flotten Erzählstil, der kaum Raum für Leerläufe lässt. Ein generelles Interesse an Dramen und Geschichten dieser Art wird für einen unterhaltsamen Filmabend jedoch vorausgesetzt, „Narziss und Goldmund“ biedert sich einem Mainstream-Publikum nämlich zu keiner Zeit an.

Die beiden Hauptdarsteller, Sabin Tambrea und Jannis Niewöhner, haben eine gute Chemie untereinander, was es dem Zuschauer einfach macht, ihre besondere Form der Freundschaft zu erkennen und ihre Sicht auf den jeweils anderen zu begreifen. Im Zusammenspiel mit anderen Darstellern läuft es zwar ebenfalls gut, doch ist ihre Mimik in diesen Fällen weder so ausgereift, noch ihre Körpersprache so aussagekräftig wie in den Szenen zwischen Narziss und Goldmund. Zwar bringt nicht jeder Satz die mitschwingenden Emotionen gekonnt rüber, doch unterm Strich ist die Leistung der beiden mehr als löblich.

Großes Lob verdient zusätzlich die Ausstattung des Films, welche sowohl durch gute Kostüme als auch durch hervorragende Kulissen besticht. Gepaart mit überlegt platzierten sowie geschickt eingesetzten Statisten und einem geübten Auge für Details, entstand ein Film, der visuell hervorsticht und das Gehirn nicht mit dauernd auftauchenden Ungereimtheiten beleidigt.

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Halb ja, halb nein

Dadurch, dass es zum einen völlig unmöglich ist in knapp zwei Stunden den Stoff der Vorlage komplett aufzuarbeiten und zum anderen Änderungen in der Handlung vorgenommen wurden, die sich nicht durchgehend mit der eigentlichen Grundaussage von Hesses Geschichte vertragen, kommt es zu einigen kritischen Szenen. Stark auf ihre Essenz beschränkt wirken manche Teile der Erzählung zu kurz und fast schon unbedeutend. Nicht wenige Momente scheitern an dem Versuch, ihre Daseinsberechtigung zu offenbaren, während andere Szenen ihre Aussage geradezu in die Welt hinausschreien.

Hinzu kommt, dass es dem Drehbuch nicht gelungen ist, den Charakter von Goldmund durchgehend gekonnt einzufangen. Seine ewige Ruhelosigkeit im Angesicht der Vergänglichkeit des Lebens, sein Kampf gegen die Stagnation und wie er vom sesshaftem Künstlerdasein wieder ins alte Lebensprinzip zurückkehrt, werden in der Verfilmung nur angeschnitten und müssen vom Zuschauer selbstständig und unter Einsatz gewisser Gedankenspiele begriffen werden. Wer sich deutliche Antworten und Erklärungen von Seiten des Films erhofft läuft Gefahr, Goldmund als rattigen Tunichtgut mit Mutterkomplex wahrzunehmen.

Dafür gelingt es dem Film darzustellen, dass weder Narziss ein reiner Geistes-, noch Goldmund ein reiner Sinnesmensch ist. Es wird dem Zuschauer leicht vermittelt, dass die beiden einander brauchen, miteinander schwingen und sich ergänzen. Da dies einen wichtigen Teil der Geschichte ausmacht, darf dies als deutlicher Pluspunkt verstanden werden und erneut als Zeichen, wie gut sowohl Tambrea als auch Niewöhner ihren Job machen. Andere Darsteller fallen zwar ebenfalls nicht in Ungnade und Schauspieler wie Emilia Schüle, Uwe Ochsenknecht und Kida Khodr Ramadan leisteten allesamt gute Arbeit, wirklich hängen bleibt von ihrer Performance nach dem Abspann jedoch nichts.

Fazit

„Narziss und Goldmund“ fängt den Zauber von Hesses literarischer Welt nur selten ein, funktioniert als davon losgelöster Film jedoch weitgehend gut. Am Ende wirkt die Pointe der Geschichte aufgrund einiger verpatzter Szenen jedoch zu aufgedrückt, Goldmunds Beweggründe werden nur stellenweise nachfühlbar dargestellt und manche Aspekte der Handlung gehen in dem Versuch unter, die Dramatik der Charakterentwicklung vorzuziehen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt findet in dem Werk von Regisseur Stefan Ruzowitzky trotzdem gute Wochenendunterhaltung, die dank der überzeugenden Schauspieler und in Sachen Kulisse sowie Kostüme punkten kann.

Bewertung: 3/5***

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 05.03.2020