„Not Okay“ Filmkritik: Viel unsympathischer geht es kaum noch

  

von Heiner Gumprecht | 13.08.2022

Nur wenige Kinofans werden etwas mit dem Namen Quinn Shephard anfangen können, schließlich war die US-amerikanische Schauspielerin bisher hauptsächlich in kleinen Produktionen zu sehen und hier und dort als Nebenrolle in einer Serie. Ihr Regiedebüt „Blame – Verbotenes Verlangen“ hat ebenfalls kaum Wellen geschlagen und so ist es nicht verwunderlich, wenn ihr auch von ihrem neuesten Projekt, „Not Okay“, noch nie etwas gehört haben solltet. Was sich vielleicht bald ändert, denn die Tragikomödie trifft ein paar empfindliche Nerven.

Not okay Filmszene 002 Disney+Bild: Filmszene aus „Not Okay“ (2022) ©Searchlight Pictures

Not Okay – Unsere spoilerfreie Kritik

Bevor „Not Okay“ startet, warnt ein Schriftzug uns davor, dass es in dem Film flackernde Lichter gibt, Traumata verarbeitet werden und, was besonders hervorsticht, dass die Protagonistin unsympathisch ist. Eine Warnung, die merkwürdig anmutet, aber durchaus als relevanter Hinweis verstanden werden darf, der nur ein klitzekleines Problem nach sich zieht: Man vergisst nämlich zu erwähnen, dass fast alle anderen Figuren in Shephards Drama/Komödie ebenfalls herzlich unangenehm sind.

In diesem Werk bekommt so ziemlich jeder einen Seitenhieb ab und wird, mal mehr, mal weniger beabsichtigt, negativ dargestellt. Wir haben eben alle unsere Fehler und da macht „Not Okay“ kein Geheimnis draus, schönt nichts und will uns auch keine Charaktere übereifrig als Sympathen verkaufen. Doch eine Figur hat nicht einmal ein Körnchen Mitleid mit auf dem Weg bekommen, und zwar die Protagonistin. Quasi die weibliche Hauptfigur aus den meisten 90er Komödien, jedoch ohne die geistige Entwicklung, die die Gesellschaft seit damals durchgemacht hat.

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Bild: Filmszene aus „Not Okay“ (2022) ©Searchlight Pictures

Dementsprechend bekommt Danni (Zoey Deutch) auch kaum etwas in ihrem Leben auf die Reihe. Sie findet keinen Anschluss, hat kein Liebesleben und, was für sie noch viel schlimmer anmutet, ihr fehlen die Follower. Sie ist einsam, sie ist traurig und sie ist kurz davor, eine waschechte Depression zu bekommen. Da ist doch eine kleine Lüge nicht schlimm, oder? Ein bisschen schwindeln, um dem Traummann zu gefallen? Und wenn die Lüge erfolgreich war, ab wann hört man mit der Unwahrheit auf? Ab wann kann man überhaupt aufhören?

Und wenn all die Lügen irgendwann auffliegen, wie geht man mit den Menschen um, die man verletzt hat? Und wie geht die Gesellschaft mit dem Lügner um? Ist Vergebung der richtige Ansatz? Ist Verständnis überhaupt möglich? Mit all diesen Fragen beschäftigt sich „Not Okay“, doch Antworten bekommen wir kaum welche. Stattdessen schlägt Regisseurin Shephard, die ebenfalls das Drehbuch verfasst hat, mit dem Dampfhammer auf die weiße, privilegierte Heterofrau ein, die aus Verzweiflung große Fehler begannen hat.

Ein interessanter Ansatz, der eine Menge Potenzial mit sich bringt und tatsächlich bis zum Ende eifrig verfolgt wird, hier jedoch unter einem eklatanten Mangel leidet, nämlich, dass geneigten Zuschauer*innen in keinem Moment entgegengekommen wird. Die Hauptfigur ist unsympathisch, viele Nebenrollen sind unsympathisch, das Ende ist unsympathisch, einfach alles ist irgendwie traurig. Ist das realistisch? Vielleicht. Manchmal. Ist das unterhaltsam? Weniger. Vor allen Dingen deswegen nicht, weil die Ratio aus Drama und Humor nicht stimmt.

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Bild: Filmszene aus „Not Okay“ (2022) ©Searchlight Pictures

Der Frohsinn kommt in dieser Tragikomödie nämlich zu kurz, wird von ein paar (zu) wenigen lebensbejahenden Szenen und sehr viel Traurigkeit in den Hintergrund verbannt. Bekommen Situationskomik und Galgenhumor dann doch mal ihren Auftritt, zünden die Gags nie so richtig und selbst die guten Witze sind eher in der Kategorie Fremdschämen einzusortieren. Und die Dramatik? Wird zwar kontinuierlich bearbeitet, erreicht aber selten die notwendige Tiefe, um wirklich berühren zu können.

Außer in zwei Szenen, die sich extrem losgelöst vom restlichen Film anfühlen. Wenn Mia Isaac als Überlebende einer Schulschießerei eine flammende Rede hält oder am Ende mit der Hauptfigur abrechnet, kann man erahnen, wo „Not Okay“ eigentlich angesiedelt sein möchte. Hier wird mit der Ungerechtigkeit abgerechnet, hier werden Worte in die Köpfe des Publikums gehämmert, um Verständnis zu erzeugen, das aber kaum eine Chance hat zu gedeihen, da der restliche Film überwiegend die Symptome einer kranken Gesellschaft anprangert anstatt ihre Wurzeln.

Was am Ende der Sichtung bleibt, ist das komische Gefühl, gleichzeitig dafür getröstet zu werden, dass wir alle in dieser modernen Gesellschaft zu leiden haben, während uns genauso vor Augen geführt wird, dass wir entweder mit diesem traurigen Leben klar kommen müssen, oder man uns negativ kritisieren, vielleicht sogar hassen wird. Was vielleicht sogar stimmt, zumindest, wenn man mehr im Internet und mit Followern, anstatt im Real Life mit Freunden abhängt. Aber was, wenn einem da gar keine Wahl bleibt? Tja, Pech.

Fazit

Das Herz hat „Not Okay“ sicherlich am rechten Fleck und Regisseurin/Drehbuchautorin Quinn Shephard stellt weitgehend auch die richtigen Fragen, doch mit den Antworten hat sie es nicht so. Ihr teilweise konsequenter Film zeigt mit dem Finger auf so ziemlich jeden, verteilt fröhlich Seitenhiebe, und gibt zu bedenken, dass wir an uns genauso arbeiten müssen, wie an der Welt. Und wer das nicht versteht, hat kein Mitleid verdient? Die Pointe lässt zu wünschen übrig. Der Humor auch. Dafür ist Nebendarstellerin Mia Isaac wunderbar authentisch.

Bewertung 3/5***

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Bild: „Not Okay“ (2022) ©Searchlight Pictures