„Possessor“ Filmkritik: Cronenberg-Horror feiert seine Rückkehr

  

von Heiner Gumprecht | 08.06.2021

David Cronenberg, einer der Urväter des Body Horror, hat einen Sohn, Brandon Cronenberg, und dieser Apfel ist, wie könnte es auch anders sein, nicht weit vom Stamm gefallen. Cronenberg Jr. ist ebenfalls im Filmgeschäft tätig, im Gegensatz zu seinem weltweit bekannten Vater aber noch ein recht unbeschriebenes Blatt. Ein Umstand, der sich schon bald ändern könnte, denn mit dem Sci-Fi-Horror „Possessor“, der planmäßig am 01. Juli in die deutschen Kinos kommen soll, liefert der Sohn vom Schöpfer von Filmen wie Die Fliege und Naked Lunch erstklassige Genrekost ab.

Possessor szene 1Bild: „Possessor“ (2021). ©The Jokers


Possessor: Zur Handlung

Die Handlung dieser Mischung aus Thriller, Science Fiction und Horror dreht sich um die Agentin Tasya Vos (Andrea Riseborough), die für eine Firma Auftragsmorde ausführt. Jedoch geht sie ihrem Job nicht klassisch nach, sondern übernimmt mit Hilfe einer Hirnimplantat-Technologie die Körper anderer Menschen, welche dann die Zielperson eliminieren und sich schließlich selbst das Leben nehmen. Ein Job, der an die Nieren geht und daher ist es wohl nicht überraschend, dass Vos nach einer Vielzahl an Einsätzen erste Anzeichen einer psychologischen Erkrankung zeigt.

Vos kämpft fortan gegen Erinnerungen an vergangene, blutige Taten und dem Trieb, gewalttätig zu werden, was in ihrem Beruf, der Fingerspitzengefühl und Geduld erfordert, fatale Folgen haben kann. Entsprechend läuft ihr neuester Auftrag alles andere als reibungslos ab. Im Körper des Angestellten Colin (Christopher Abbott) soll die Killerin Colins Verlobte Ava (Tuppence Middleton) und deren Vater, den Großunternehmer John Parse (Sean Bean), töten, doch der Wirtskörper wehrt sich gegen den Eindringling, während Vos selbst nicht ganz sie selbst zu sein scheint.

possessor szene 3Bild: „Possessor“ (2021). ©The Jokers

Possessor: Eine Kritik

In Deutschland ist Possessor ab 18 Jahren freigegeben und diese Einstufung der FSK wundert mich nicht, denn in Cronenbergs Film gibt es einige sehr brutale, blutige und höchst verstörende Bilder, die durchaus an die Werke des Vaters des Regisseurs und Drehbuchautors erinnern. Genau wie bei David Cronenbergs frühen Werken haben diese Szenen aber auch bei dem neuen Film seines Sohns durchaus ihre Daseinsberechtigung und es gibt nicht eine einzige abartige Horrorszene, die ich als überflüssig bezeichnen würde.

Diese Einschätzung gilt eigentlich für das gesamte Werk, in welchem Brandon Cronenberg nur die Dinge zeigt und erläutert, die auch tatsächlich einen Mehrwert für die Handlung und die finale Pointe haben. Dies mag minimalistisch sein und manch einem Zuschauer vielleicht zu wenig, was die Handlung von „Possessor“ betrifft und die Geschichte, die dieser Filme erzählen möchte, ist dies aber genau der richtige Ansatz und Erzählstil. Denn nur so ergibt sich ein Gesamtbild, dass auf angenehme Weise stimmig aber nicht überwältigend ist.

Vor allen Dingen im Zusammenspiel mit der visuellen und akustischen Untermalung. Beide Stilmittel folgen in diesem Film nämlich dem gleichen Prinzip. Wenig ist mehr und das Wenige, was geneigte Kinogänger zu sehen und zu hören bekommen, untermalt die einzelnen Szenen und das angestrebte Finale gleichermaßen gut, hinterlässt aber gleichsam einen Beigeschmack von Verwunderung, Ekel und vielleicht dem einen oder auch anderen Fragezeichen. Wohlgemerkt aber Fragezeichen, die am Ende des Films nicht mehr stehen.

„Possessor“ zu erklären ist schwierig, ihn zu mögen ebenfalls, doch die Alleinstellungsmerkmale des Films und die Fähigkeiten des Regisseurs anzuerkennen fällt leicht. Was vor allen Dingen daran liegt, dass hier beinahe alles zusammenpasst. Wie ein gruseliges Puzzle, das nach getaner Arbeit zurück starrt wenn man es bewundern will. Wenn ich an der Arbeit von Herrn Cronenberg überhaupt etwas auszusetzen hätte, dann sind es wohl die wenigen Logikfehler im Detail.

possessor szene 4Bild: „Possessor“ (2021). ©The Jokers

Possessor: Eine andere Welt

Doch selbst wenn ich mich über diese Unzulänglichkeiten hermache und noch den einen oder auch anderen Kritikpunkt an den Haaren herbeiziehe, würden diese Kontras schlichtweg verblassen, wenn sie der Ästhetik und der unterschwelligen Bildsprache von „Possessor“ gegenübergestellt werden. Das Werk spricht nämlich selbst dann noch tausend Bände und eine geheime Sprache, wenn nichts gesagt und scheinbar auch nichts von Wert gezeigt wird. Brandon Cronenberg beweist hier Fingerspitzengefühl für das Unterschwellige.

Ich würde mich nun gerne über all die Feinheiten auslassen, die ich bei der Sichtung des Horrorfilms wahrgenommen habe. Über die Bildsprache. Den Kontrast aus naher Zukunft und vergangener Ästhetik. Über Kameraeinstellungen aus dem Lehrbuch und über Szenen, die einem in den Kopf kriechen. Über tolle Ideen, die erstklassig umgesetzt wurden. Und warum dieser Film niemandem vorbehaltlos empfohlen werden kann aber sollte. Doch der Platz reicht dafür einfach nicht aus. Ich nehme aber an, diese Aussage ist vielleicht schon Lob genug.

Was die Darsteller angeht kann ich leider nicht so viel sagen. Andrea Riseborough macht einen erstklassigen Job, zumindest so weit man das beurteilen kann, denn ihre Figur lässt nicht viele Gefühle erkennen und wir wissen am Ende über den Charakter Taya Vos zu wenig, um wirklich kritisieren zu können. Christopher Abbott zu bewerten fällt jedoch noch deutlich schwieriger, denn die meiste Zeit spielt er eine Person, über die wir ebenfalls nicht viel wissen, die aber zusätzlich noch von einer zweiten Person gesteuert wird.

Wie gut er dies wirklich darstellt kann ich also unmöglich sagen, geschweige denn auditieren. Da ich aber nicht ein Mal das Gefühl hatte, dass er aus dem Takt geraten sein könnte oder seine Sache auch nur für einen Moment nicht gut macht, gehe ich dreist davon aus, dass es auch hier keine Möglichkeit gibt, mit der Brechstange der negativen Kritik anzusetzen. Der restliche Cast macht seinen Job ebenfalls mindestens gut, und bei der geringen Screentime, die andere Schauspieler in „Possessor“ haben, sollte das auch völlig genügen.

possessor szene 5Bild: „Possessor“ (2021). ©The Jokers

Fazit

Minimalistisch, verstörend, eigenwillig, weit außerhalb der Norm, hervorragend. „Possessor“ ist all dies und noch viel mehr, doch vor allen Dingen ist er ein Film für Liebhaber des Genre und für alle Psychologie- und Philosophie-Enthusiasten. Diesen Film kann und werde ich niemandem vorbehaltlos empfehlen, doch egal aus welchem Winkel ich es betrachte, er ist trotzdem hervorragend. Auf keinen Fall Mainstream, auf keinen Fall ein Werk, das viel Geld in die Kinokassen spülen wird, und auf keinen Fall leicht verdaulich. Aber ein übler Trip der sich lohnt.

Bewertung: 5/5*****


Possessor Poster

Bild: Poster zu „Possessor“ (2021). ©The Jokers