„Tenet“ Filmkritik – Ein Meisterwerk in allen Klassen

  

Christopher Nolans Name steht seit vielen Jahren schon für erstklassige Unterhaltung, die sowohl die breite Masse an regulären Kinogängern, als auch eingefleischte Cineasten und professionelle Kritiker begeistern kann. Um so obsessiver kreisen die Blicke nun in begieriger Suche nach Punkten, wo sich in seinem neuen Werk, Tenet, die Brechstange der negativen Kritik ansetzen lässt. Und manch einer verzweifelt an der Tatsache, dass es einfach nicht wirklich was zu motzen gibt.

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Tenet – Eine Kritik

Als hauptberuflicher Redakteur habe ich eine Abneigung dazu entwickelt, für meine Kinokarte Geld ausgeben zu müssen. Da uns die aktuelle PR-Agentur für Tenet aber schlichtweg übersehen hat, blieb mir nichts anderes übrig, als in Coronazeiten meine Maske zu schnappen, ins Kino zu wackeln und mich als Kinofan unter meinesgleichen zu schmuggeln. Und das alles nur, damit Kinofans auch seinen Senf zum meist erwarteten Film 2020 abgeben kann.

Lasst mich euch, bevor ich mit dieser Präsentation meiner geistigen Paste beginne, jedoch schon einmal verraten haben, dass ich dem ausgegebenen Geld nicht hinterher trauere und jede Minute der guten zweieinhalb Stunden genossen habe. Nicht zuletzt, weil ich es geschafft habe, ohne großartige Erwartungen in den Film zu gehen, aber auch, weil es befriedigend war zu sehen, wie verzweifelt manch ein Kinokritiker dann offensichtlich doch an den sprichwörtlichen Haaren ziehen musste, um gegen das Werk von Nolan zu feuern.

Ein weiterer Faktor, der das Gefühl aufkommen ließ, dass Geld und Zeit auf diese Weise vorteilhaft investiert wurden, bestand in der Tatsache, dass Tenet zwar eine überdurchschnittlich lange Laufzeit hat, sich der Film aber zu keiner Sekunde zieht und es daher so wirkt, als würde die Zeit wie im Flug vergehen. Dies ist nicht zuletzt genau der Tatsache geschuldet, die fast alle Kritiker aktuell zu einen scheint, nämlich die Meinung, dass die Action meisterlich und ideenreich dargestellt wird.

Damit ich diese nicht spoilern muss, ihr aber dennoch verstehen könnt, warum die Actionsequenzen in Tenet so außergewöhnlich sind, mag ich mich kurz erdreisten, euch an dieser Stelle etwas zu verraten. Wer nichts davon hören möchte, sollte also vielleicht ein bis zwei Absätze überspringen und diesen Teil der Kritik ignorieren.

Allen anderen sei gesagt, dass es in Nolans neuem Werk um die Manipulation von Zeit geht, oder besser gesagt, um Objekte und auch Menschen, die sich rückwärts in der Zeit bewegen können.

Dieser Umstand sorgt dafür, dass die Kämpfe, Verfolgungsjagden und Schusswechsel absolut merkwürdig, aber gleichsam auch unglaublich komplex und auf ihre Weise brillant anmuten. Die meisten Szenen können von sich behaupten, dass ihr sie auf diese Weise nicht einmal annähernd in einem anderen Film schon zu sehen bekommen habt und darüber hinaus sind sie auch noch bis ins kleinste Detail choreografiert und exzellent dargestellt worden, was Tenet zu einem visuellen Meisterwerk macht.

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Tenet: Der Nolan mal wieder

Wenn ihr euch andere Kritiken zu dem Film durchlest, werdet ihr schnell sehen, dass sich beinahe alle Kritiker in diesem Punkt einig sind. Die meisten davon stimmen ebenfalls mit mir darüber ein, dass die Atmosphäre, der Aufbau, die Musikuntermalung und fast alle technischen Aspekte dieses Werks ebenfalls in der obersten Liga spielen und fast von jeglicher Art der Negativkritik befreit sind. Doch es gibt zwei Punkte, da scheiden sich die Gemüter.

Zum einen wäre da der Vorwurf, dass Tenet in Sachen Handlung nicht viel zu bieten hat und die Geschichte nicht annähernd so komplex sei, wie Christopher Nolan sie wirken lassen wolle. Ein Blendwerk also, das lediglich von seiner grundsätzlichen Idee lebt, hinter dieser Fassade aber einen inhaltlichen Friedhof versteckt. Ein großer, in gewisser Weise vielleicht auch mutiger Vorwurf, der aber zumindest meiner bescheidenen Meinung nach kompletter Blödsinn ist.

Ich möchte Tenet nicht davon freisprechen, generell Logikfehler zu beherbergen. Doch fällt es mir schwer, diesen theoretischen Vorwurf zweifelsfrei mit Beispielen zu untermauern, da mein Scheitern darin, alle Ansätze korrekt zu lesen, kein Garant dafür ist, dass sich der Schöpfer hinter der Geschichte in diesen Fällen verhaspelt hat, sondern auch nur ein Zeichen dafür sein könnte, dass ich nicht alles verstanden habe.

Eine Sache ist mir dafür den ganzen Film über hinweg aufgefallen, nämlich, dass es zwar durchaus manchmal so wirkt, als sei die Handlung etwas zu gehetzt und der Wert auf inhaltliche Details gering, doch tatsächlich befinden sich diese Einzelteile des Ganzen direkt vor den Augen des geneigten Zuschauers, ihr müsst nur sehr gut hinsehen und -hören. Das hier gezeigte Fingerspitzengefühl dafür, kaum etwas an Informationen breitzutreten und dennoch alles an notwendigen Hinweisen mit dem Kinogänger zu teilen, ist beinahe beispiellos.

Hinzu kommt, dass es, sagen wir mal couragiert ist, lediglich ein bis zwei Szenen losgelöst von ihrem Zusammenhang mit der Handlung vorauszuahnen, und auf Grund dessen von einer durchschaubaren, lediglich aufgeplusterten Geschichte zu sprechen. Vor allem dann, wenn dem Film anschließend vorgeworfen wird, zu viele lose Fäden zu ignorieren, obwohl das Werk selbst mehrfach angibt, dass es nicht Antworten auf alle Fragen geben kann.

Manch ein Regisseur mag einen solchen Ansatz als Ausrede dafür verwenden, sich einfach jede hanebüchene Ausrede für die Handlung erlauben zu können, ohne Erklärungen abgeben zu müssen, in Tenet gibt es jedoch viele Anzeichen dafür, dass sich die Geschichte durchaus beinahe lückenlos erklären lassen könnte, das aktuell hohe Maß an Glaubwürdigkeit und Spannung darunter jedoch sehr gelitten hätte. Wieso also alles breittreten und erklären?

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Tenet: Vier talentierte Ausnahmen

Ein weiterer Vorwurf dem Film gegenüber ist nicht ganz so einfach von der Hand zu weisen, nämlich die Beschuldigung, Nolans Verständnis für Menschen und ihre Komplexität sei nicht annähernd so ausgereift wie sein Wissen im Bereich der Philosophie, weswegen seine Charaktere oft steif, um nicht zu sagen zweidimensional wirken. Ich empfand dies zwar nicht so, nichtsdestoweniger ist leicht zu erkennen, wie dieser Gedanke aufkommen kann.

Denn tatsächlich ist es schwer, sich mit den Figuren zu identifizieren und ihre Entscheidungen nachvollziehen zu können, was in erster Linie daran liegt, dass Nolan auch in diesem Bereich die Details dem Zwischenraum überlässt und die zweieinhalb Stunden lieber dafür nutzt, die Prämisse seines Films sich entfalten zu lassen. Zum Glück müsst ihr euch aber nicht auf eure Fähigkeiten verlassen, zwischen den Zeilen zu lesen und jedes noch so kleine Detail wahrzunehmen.

Stattdessen reicht es die meiste Zeit auch absolut aus, den vier Hauptdarstellern, John David Washington, Robert Pattinson, Elizabeth Debicki und Kenneth Branagh, einfach das Feld zu überlassen, denn dank ihres herausragenden Talents, das sie in Tenet unter Beweis stellen, ist es gar nicht erforderlich, dass ihre Figuren allzu viel von sich selbst preisgeben, da die Darsteller, trotz des erwähnten Manko, alles aus den Charakteren herausholen.

Fazit

Es gibt eigentlich noch sehr viel mehr, was man über diesen Film erwähnen müsste, doch reicht der Platz am Ende einfach nicht aus und die Punkte, die ich oben angesprochen habe, sollten eigentlich das Wichtigste abdecken. Ja, Tenet hat einige kleine Schwächen und es gibt hier und dort Szenen, die hätten besser oder zumindest anders sein können. Doch unterm Strich ist sein neuer Film nicht nur visuell ein Meisterwerk, sondern in allen Klassen. Leider oftmals nur dann, wenn ihr wirklich aufmerksam hinseht und bereit sowie in der Lage seid, alle Nuancen und Details einzufangen.

Bewertung: 5/5*****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 27.08.2020