Das französische Drama rund um die „Justice Restaurative“ ist ein aufwühlender Film, der seine große Kraft aus seinem klug aufbereiteten Thema und dem nuancierten und authentischen Spiel des gesamten Ensembles zieht.
"All eure Gesichter" ist besonders Wertvoll
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) hat dem Film "All eure Gesichter" das Prädikat "besonders wertvoll" verliehen.
Hier ist der Filminhalt:
Gregoire, Nawelle und Sabine haben eines gemeinsam: Alle drei wurden Opfer von Gewalttaten. Und auch Nassim, Issa und Thomas teilen eine Gemeinsamkeit: Alle drei sind Täter, haben Menschen überfallen, angegriffen. Nun sitzen alle zusammen in einem Raum. Und sie sollen sprechen. Über sich. Und sie sollen den anderen zuhören. Für die Betreuenden, die diese Gespräche im Rahmen der „Justice Restaurative“, einer Form der Konflikttransformation im Rahmen des Strafvollzugs, vorbereitet haben, ist jedes Gespräch eine neue Herausforderung. Denn wie können Opfer und Täter jemals einander „begegnen“? Diese Frage muss sich auch Judith stellen, die alles versucht, um die junge Frau Chloe auf ein Gespräch vorzubereiten, was sie selbst einfordert: eine Wiederbegegnung mit ihrem Bruder, der sie missbraucht hat, als sie noch ein Kind war.
Bild: (c) Studiocanal
Die Filmkritik der FBW
Der Film von Jeanne Herry (Regie und Drehbuch) behandelt ein wichtiges und hochsensibles Thema auf einzigartige Weise. Denn um der Restaurativen Justiz, die als Mediation versucht, Opfer und Täter miteinander kommunizieren zu lassen und die es im französischen Strafvollzug erst seit 2014 gibt, nahezukommen, inszeniert Herry zusammen mit ihrem Kameramann Nicola Loir die Sequenzen mit enormer, stellenweise auch bedrückender Dichte und Enge. Die Kamera ist ganz nah bei den Darstellenden, die sich in die Geschichten ihrer Figuren mit größtmöglicher Empathie hineinversetzen. Man glaubt, dass Sabine (gespielt von Miou-Miou), Opfer eines Handtaschendiebs wurde und nun seit sieben Jahren ihr Haus nicht mehr verlassen hat, man sieht die Angst in ihren Augen. Und man glaubt, dass Thomas (gespielt von Fred Testot) sich eben nicht sicher ist, ob er nach seiner Freilassung nicht wieder kriminell werden wird. Wie fragil das Gefüge zwischen den einzelnen Beteiligten ist, zeigen die immer wieder aufkommenden Gefühlsausbrüche und auch die zarten zwischenmenschlichen Annäherungen in den Pausen. Und auch die eigene Storyline rund um Chloe, die von einer Beraterin auf die Begegnung mit ihrem einstigen Peiniger, dem eigenen Bruder, vorbereitet wird, zeigt, wie schwierig es ist, Konfrontation zu fördern, wenn das gleichzeitig bedeutet, alte Wunden wieder aufzureißen. Herry und ihrem Team gelingt durch die exakte Schauspielführung, das natürliche Setting und die Konzentration der Kamera auf die Gesichter eine dokumentarisch anmutende Atmosphäre. So wird man in die Emotionen jeder Figur hineingezogen. Dass dokumentarische Sachlichkeit und tiefe Emotion so beieinander liegen, ist ein filmisches Meisterstück in jeder Hinsicht.
Mehr Infos zum Film unter: https://www.fbw-filmbewertung.com/film/all_eure_gesichter
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