Filmkritik zu "The Homesman"

  

Am Rande der Zivilisation zu leben mag für heutige Aussteiger ein verlockender Gedanke sein. Das Leben als Siedler an der frontier Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings war alles andere als ein Zuckerschlecken. Dazu braucht es in „The Homesman“ keine rauchenden Colts, der Tribut an die gnadenlosen Lebensumstände ist hoch genug.

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Tommy Lee Jones ist ein Mann mit Ansprüchen und für Ansprüche. Das machte er mit seinem Erstlingswerk „Die drei Begräbnisse des Melguiades Estrada“ mehr als deutlich. Wer das Grenzdrama von 2005 noch nicht gesehen hat und anspruchsvollem Kino etwas abgewinnen kann, sollte dies dringend nachholen. Auch in seinem neuen Werk dreht es sich wieder um eine Grenze und die Menschen, die an ihr leben. Dieses Mal ist es allerdings keine aus Stacheldraht und Stahlbeton, sondern eine, die das Ende der Zivilisation darstellt. Eben jene frontier der westlichen Besiedlung des rauen Westens. „The Homesman“ ist dabei seinem Hauptcharakteren nicht unähnlich. Er will nicht gefallen, er ist so wie er eben ist. Nicht bequem, aber voller Persönlichkeit mit Ecken und Kanten. Tommy Lee Jones scheint sich gar nicht die Aufgabe gestellt zu haben, einen genialen Film abzuliefern, sondern bloß einen, der seinen Ansprüchen und der Vorlage genügt. Dass dabei ein guter Film, in manchen Augen sicherlich ein sehr guter, dabei herausgekommen ist, scheint fast ein Nebenprodukt zu sein. Dieser Umstand ist in großem Maße aber auch einer überragenden Hillary Swank in der weiblichen Hauptrolle zu verdanken.

Survival of the fittest

„The Homesman“ spielt im Nebraska Territory und macht von den ersten Minuten an deutlich, dass diese Gegend zu dieser Zeit wenig Spiel für Menschlichkeit und große Gefühle lässt. Am Rande einer kleinen Siedlung lebt die alleinstehende Farmerin Mary Bee Cuddy (Hillary Swank). Wenn sie nicht grade einen Acker umpflügt ist sie auf der Suche nach einem Mann mit dem sie ihr Leben teilen kann und ein kleines wenig Glück in dieser grausamen Zeit finden kann. Dabei geht sie völlig rational vor und schreckt auch nicht davor zurück offensichtlich völlig unromantischen Nachbarn die wirtschaftlichen Vorzüge einer Ehe mit ihr bei Abendessen darzulegen. Die Männerwelt ihrer Zeit kann mit der Powerfrau jedoch in keinster Weise umgehen und stößt sie immer wieder zurück. Sie sei zu einfach, nicht attraktiv und irgendwie auch ein wenig seltsam. So ganz allein auf ihrer Farm und Männerarbeit verrichtend.

Aber Frauen in „sicheren Händen“ geht es nicht wirklich besser. An der frontier sterben im wahrsten Sinne Träume. Die Kinder an Krankheiten wie Diphtherie, das Vieh an Seuchen und der Lebenswille an vergewaltigenden Ehemännern. So ergeht es auch drei Frauen aus der Nachbarschaft von Cuddy — und sie verlieren über ihren Lebensumständen obendrein den Verstand. Der Pfarrer der Siedlung sieht für diese armen Seelen nur den Ausweg, sie in die Zivilisation nach Iowa zurückzusenden. Ihre Ehemänner aber sind unabkömmlich oder nicht wirklich vertrauenswürdig und so erklärt sich Cuddy auf der Gemeindesitzung bereit, die Frauen quer durch die Prärie zu geleiten.

Wirklich gewachsen sieht aber auch sie sich dieser Aufgabe nicht und so trifft es sich gut, dass ihr in einer für ihn mehr als nur ausweglosen Situation der Drifter und Farmbesetzer George Biggs (Tommy Lee Jones) über den Weg läuft.

Die Regie inszeniert sich selbst

Tommy Lee Jones weiß sich selber gekonnt in Szene zu setzen und präsentiert den Vagabunden und Rumtreiber als klassischen Western(anti)held. Sein erster Auftritt entbehrt nicht einer gewissen Komik und erinnert ein wenig an die ersten Szenen anderer unfreiwilliger Helden wie Tuco, Jack Sparrow oder Han Solo, stellt aber auch die eine der wenigen „typischen“ Westernsequenzen des Films dar. Der Rest des Filmes schafft es erfolgreich sich vom Genre abzusetzen und dem Zuschauer Erwartungen an kommendes zu suggerieren, die nicht erfüllt werden. Das allerdings mündet nicht in Enttäuschung, sondern in Überraschung und stellt auch eine der wichtigen Stärken des Films dar. Wer eine übliche Grenze zwischen gut und böse erwartet — wie es sich für einen Western doch gehören würde — wird diese nur an sehr wenigen Stellen finden können. Tommy Lee Jones selber betonte in mehreren Interviews, dass „The Homesman“ gar kein Western sei, sondern eher eine Studie in amerikanischer Zeitgeschichte mit einem Blick auf das von eiskaltem Darwinismus geprägte Leben dieser vergangenen Tage. Ebenfalls weißt Tommy Lee Jones es von sich, mit diesem Film ein Fanal für Feminismus gesetzt haben zu wollen. Das prägende Thema des Films ist Überleben. Überleben unter allen Umständen. Dazu fehlt den drei Frauen in Cuddy und Biggs Wagen das Handwerkszeug. Schnell wird deutlich, dass einzig Biggs mit der nötigen Kaltschnäuzigkeit ausgestattet ist, sich durchzusetzen. Dies gelingt (und gelang) dem Charakter nur, weil er sich an nichts bindet und in nichts etwas investiert. Er ist ein Herumtreiber, Trinker, Spieler, Deserteur, Dieb und schreckt auch vor Mord und Brandstiftung nicht zurück. Wirklich überleben kann nur, wer nicht versucht den Rand der Zivilisation an sich anzupassen, sondern der, der sich an die frontier anpasst.

Gegen alle Regeln

„The Homesman“ musst für das Zusammenspiel des schrägen und unfreiwilligen Paares Cuddy und Biggs (sofern es denn sein richtiger Name ist) stellenweise einiges an Kritik einstecken. Über die erste Hälfte des Filmes kann man sich den ein oder anderen Schmunzler nicht ersparen, ausgelöst durch die Dialoge zwischen den beiden Charakteren, die leider all zu häufig in einsilbigen Pointen für Tommy Lee Jones enden. Aber hier bleibt Tommy Lee Jones seiner Vorlage aus der Feder von Glendon Swarthout treu und orientiert sich deutlich an seinem Idol Sam Peckinpah. Und was zunächst etwas unpassend und befremdlich wirken mag, wird spätestens am der unerwarteten Wendung zur Mitte des Films aus erzählerischer Sicht sehr wichtig. Tommy Lee Jones will es seinen Zuschauern eben nicht einfach machen, widersetzt sich Plotstrukturen, Vorhersehbarkeiten und Klischees. Auch deswegen ist es sicherlich nicht erstaunlich, dass „The Homesman“ beinah nicht finanziert worden wäre und nur dank Luc Besson und EuropaCorp überhaupt realisiert werden konnte.

Fazit

Was aber bleibt ist ein sehr guter Film, der aber sicherlich nicht jeden Geschmack trifft. Er ist kein Western, er ist nicht actiongeladen. Tatsächlich mäandert er sich an einigen Stellen durch die Prärie. Aber er beschäftigt und macht Eindruck. Wer beeindruckender und starker Visualität gepaart mit einem Erzählverlauf abseits von üblicher Disziplin voller Unvorhersehbarkeiten etwas abgewinnen kann, wird mit diesem Film glücklich werden. Wer allerdings Popcornkino und rauchende Colts sehen möchte, sollte einen anderen Streifen wählen.

Julius gibt dem Film 5 von 5 möglichen Sternen *****

Filmkritik von Julius, 24.11.2014

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