Ghost In The Shell Filmkritik — Eine gute Animeverfilmung?

  

Die wunderbare Welt der Realverfilmungen. Besetzungsfehler, Logiklöcher von der Größe eines schwarzen Lochs, Drehbuchautoren mit Platzverschwendung im Oberstübchen, Änderung am Plot und und und. Gerade Fans von Anime und Manga haben die komplette Breitseite an schrecklichen Umsetzungen bereits abbekommen und mehr miserable Ausflüge nach Hollywood erlebt als alle anderen eingeschworenen Fankreise. Und sah man den Versuch entsprechend schon beerdigt, weitere Abenteuer in diese Richtung zu unternehmen, war es doch um so überraschender, befriedigt und vergnügt den Kinosaal zu verlassen …

Ghost-in-the-Shell-kinostart-header-DE

Kritikpunkt 1 — Der Plot

Wollen wir „Ghost In The Shell“ kritisch besprechen, so müssen wir uns von zwei Seiten nähern. Zum einen ist der Film von Regisseur Rupert Sanders („Snow White & The Huntsman“, „The Juliet“, „Napoleon“) nämlich nichts weiter, als der Sprung auf einen fahrenden Zug. Das Science-Fiction-Genre ist abermals auf dem Vormarsch und wer die größten Stücken kurz vor dem Zenit abhaben will, muss schnell sein, gute Qualität abliefern und das Spektrum der Vielfältigkeit mit eigenen Ideen füttern. Auf kurz oder lang muss „Ghost In The Shell“ also auf eigenen Beinen stehen.

Auf der anderen Seite ist das Projekt unumstößlich die Verfilmung von Masamune Shirows Manga-/Animereihe. Und neben Konkurrenztiteln wie „Blade Runner 2049“, „Life“ und „Westworld“ wird sich dieser Streifen wohl oder übel damit vergleichen, nein sogar messen lassen müssen. Natürlich — und dieser Punkt sollte unterstrichen werden — kann man kaum erwarten, dass der Film ohne Abstriche umgesetzt werden kann. Dafür ist die Vorlage zu tief, komplex und vor allem lang. Es gilt also, in einer Stunde und fünfundvierzig Minuten die Essenz aus der Vorlage zu ziehen und damit bestmöglich zu arbeiten.

In erster Linie hält sich Sanders‘ Version an die groben Abläufe der Animevorlage. Immer wieder wird der Plot auf das Wesentliche beschränkt, aber genau diesen Punkt habe ich vorhin ja gemeint. Ohne wäre es kaum möglich. Gehen so zwar viele Informationen und ein gehöriger Batzen Tiefe verloren, kann ich jedoch kaum negativ Kritik dazu äußern. Für die Spielzeit wird mehr als ausreichend Hintergrund vermittelt und die Materie greifbar gemacht. In dieser geschlossenen Welt, mit eigenen Regeln und Gesetzen, gibt es wenige Logikfehler und nur selten eine Szene, die — von außen betrachtet — aus dem Rahmen fällt.

Die Handlung wird schnell, aber mit genügend Verständnis für Ruhe und kurze Pausen erzählt, fesselt, ohne jedoch allzu viel von dem Zuschauer abzuverlangen. Man kann sich treiben lassen oder der Welt in die tiefen Abgründe der philosophischen Fragen und Verkettungen folgen. Beides ist gleichsam möglich, was eine große Zahl an Interessierten abdecken sollte. Wenn auch nicht vergleichbar mit dem grandiosen Original, hat dieser Film genügend Alleinstellungsmerkmal und gleichzeitig Respekt vor der Vorlage, um als gute Umsetzung bezeichnet werden zu dürfen.

Kritikpunkt 2 — Scarlett Johansson

Jeder, der von dem gleichnamigen Anime/Manga noch nie etwas gehört hat, kann diesen Abschnitt überspringen. Alle anderen weiten kurz die Augen und lesen aufmerksam mit, denn selten hat das Internet als geballter Vertreter einer Minderheit lauter aufgeschrien, als bei der Besetzung von „Ghost In The Shell“. Scarlett Johansson („Prestige“, „Marvel´s The Avengers“, „Lost in Translation“) in der Rolle der (eigentlich) Japanerin Motoko/Major. Welch Skandal. Oder doch nicht? Natürlich nicht. Ein Skandal … ich bitte euch. Aber fragwürdig war die Entscheidung schon.

Der Plot des Films und die Änderungen zum Original geben die Erklärung ab, auch wenn diese einigen Fans nicht gefallen dürfte. Die gesamte Story wurde nach Amerika verlegt und das Aussehen der Protagonistin entsprechend angepasst. Doch hat Major ja letztendlich einen künstlichen Körper, was es ziemlich mühselig macht, darüber zu streiten, ob dieser der ursprünglichen Gestalt entspricht oder nicht. In diesem Fall wurde die Antwort auf diese Frage mit der originalen Version der Hauptfigur verknüpft und — wenn ich das so behaupten darf — das gar nicht mal schlecht. Es sind Änderungen, die größer wirken als sie wirklich sind, letztendlich kaum weh tun und der Rede entsprechend nicht wert.

Johansson spielt eine interessante Mischung aus der eigentlichen Major, wie wir sie aus der Anime-/Mangavorlage kennen und einer neuen, aber an diesem Original angelehnten Variante. Diese Version ist etwas einfühlsamer/verletzlicher als ihre gezeichnete Schwester im Geiste und weniger komplex. Sie ist das Äquivalent zur verminderten Spielzeit des Kinofilms, holt aus diesem Umstand aber die maximalen Möglichkeiten heraus. Johansson spielt souverän, auf hohem Niveau und durchaus nachvollziehbar, schwächelt aber immer mal wieder an dem Versuch, ihr schauspielerisches Talent und die damit gekoppelten Möglichkeiten mit der Gefühlsarmut ihrer Figur in Verbindung zu bringen.

Kritikpunkt 3 — Die Welt

Willkommen in der Welt von morgen, wo der menschliche Körper repariert, verbessert und sogar ausgetauscht werden kann. Doch wie fühlt es sich an, ein Mensch, im Körper einer Maschine zu sein? Dies und die Welt, in welcher solche Kreationen möglich sind, ist der eigentlich Kern des Films und einst auch seiner Vorlage. Wie bereits angedeutet, wird in dieser Hollywoodversion im Kern alles richtig gemacht und Johansson verleiht ihrer Figur genügend Tiefe, um das Thema zumindest ansatzweise zu besprechen und dem Zuschauer schmackhaft zu machen.

Doch was ist mit dieser wunderschön hässlichen, komplexen Welt, die Masamune Shirow seinerzeit geschaffen hat? Wurde sie entsprechend liebevoll, dreckig und in bester Noir-Manier umgesetzt? Schwierig zu beantworten, da jeder sein Augenmerk primär bei anderen Eckpunkten verweilen lässt, unterm Strich und nach langer Zeit des Nachdenkens habe ich mich jedoch dazu entschieden, diese Frage mit einem Ja zu beantworten.

Diese Zeit habe ich mir deswegen genommen, da sich die originale Version und das Pendant aus der Traumschmiede Amerikas nur ansatzweise vergleichen lassen. Doch im Kern sprechen beide die gleichen Sinne an und decken ein übereinstimmendes Muster ab. Sie sind visuell experimentell, spielen mit dem Kontrast aus neu/glatt/schrill und alt/rau/beklemmend. Generell ist „Ghost In The Shell“ ein visuelles Meisterwerk und im Austausch von Optik und Audio schlichtweg umwerfend, doch die Kulisse, seine Bewohner und die Fassade im Spiel mit der Spiegelwelt dahinter, sind besonders erwähnenswert, weil gelungen.

Fazit

Wir wollen uns nicht darüber streiten, wie gut oder schlecht sich der Film im Vergleich zur Vorlage macht, auch wenn ich im Haupttext sicherlich meine Meinung dazu klar gemacht habe. Daher konzentrieren wir uns auf den Film an sich und wie er sich in einer Welt schlägt, in welcher das Sci-Fi-Genre wieder die Oberhand zu gewinnen scheint. Und, was soll ich sagen? Ich war ein klein wenig begeistert. Visuell und audiotechnisch fast schon brillant. Die schauspielerische Leistung ist überdurchschnittlich und nur durch wenige Patzer belastet. Der Plot hat Querschläger, Logiklöcher und die eine oder auch andere Unsinnigkeit, wird aber durchweg spannend und ansprechend erzählt. Alles in allem ein unterhaltsames Erlebnis weit über dem bekannten Popcornniveau.

Ghost in the Shell ist ab jetzt (Donnerstag, 30.03.2017) überall in den Kinos zu sehen.

Bewertung: 4/5****

Filmkritik von Heiner "Gumpi" Gumprecht, 30.03.2017