„The Father“ Filmkritik: Der Oscar-Gewinner unter der Lupe

  

von Heiner Gumprecht | 28.04.2021

Der Regisseur und Drehbuchautor Florian Zeller hat sein Theaterstück Der Vater bereits als TV-Produktion umgesetzt, im Mai dieses Jahres erscheint mit „The Father“ jedoch eine weitere Adaption von ihm, dieses Mal mit Sir Anthony Hopkins in der Hauptrolle. Das Werk flog in Deutschland bisher weitgehend unter dem Radar, obwohl es bereits seit Monaten als heißer Oscar-Kandidat gehandelt wird. Da Hopkins nun bei der 93. Verleihung tatsächlich den heißbegehrten Preis in der Kategorie Bester Hauptdarsteller erhalten hat, war das für uns natürlich mehr als Grund genug, den Film genauer unter die Lupe zu nehmen.

the father szeneBild: Szene aus "The Father" (c) Tobis Film


The Father: Zur Handlung

Im Mittelpunkt der Geschichte von The Father steht Anthony (Anthony Hopkins), ein stolzer Mann im Winter seines Lebens, der sich trotz seines hohen Alters weigert, irgendeine Form von Hilfe anzunehmen, da er überzeugt ist, ganz gut alleine auf sich aufpassen zu können. Was er dabei nicht begreift und auch nicht begreifen kann, ist, dass er sich im Endstadium einer Demenzerkrankung befindet und für seine Tochter Anne (Olivia Colman) zunehmend zur seelischen Belastung wird.

Und auch Annes Beziehung zu Ehemann Paul (Rufus Sewell) leidet stark unter den Ausbrüchen ihres Vaters, der immer wieder Erinnerungen durcheinanderbringt, Namen und Gesichter vergisst und trotz seiner zunehmenden Verwirrung davon überzeugt bleibt, dass mit ihm alles in Ordnung ist, während sich alle anderen mit jedem Tag etwas seltsamer benehmen. Als Anthony dann auch noch die letzte Pflegerin aus seiner Wohnung wirft, die Anne für ihn eingestellt hat, muss die Tochter eine schwerwiegende Entscheidung treffen.

The Father: Eine Kritik

In den meisten Fällen fällt es einem Kritiker durchaus leicht, einen Film für eine oder sogar mehrere Arten von Zuschauern zu empfehlen, doch gibt es Ausnahmen. „The Father“ ist beispielsweise ein solches Werk, das zwar hochwertig und beinahe in jeder Hinsicht einwandfrei umgesetzt wurde, sich aber unterm Strich für kaum jemanden eignet, geschweige denn sich irgendwem anbiedert. Perfekt für die Oscarverleihungen zugeschnitten, für den gemeinen Zuschauer aber vielleicht ein wenig zu speziell. Ein Film also, der Cineasten gefällt, bei dem die meisten anderen aber wohl eher die Stirn runzeln.

Zum einen ist es als Drama bereits in einem Genre angesiedelt, das sich nur für einen vergleichsweise kleinen Kreis an Kinofans eignet, da es, wenig überraschend, nicht viele Menschen gibt, die sich lieber deprimieren anstatt aufheitern lassen. Da es zusätzlich um eine schlimme Krankheit und das niederschmetternde Schicksal eines Menschen geht, wird der Kreis an Interessenten noch einmal drastisch reduziert. Und dann kommt noch hinzu, dass „The Father“ es dem geneigten Kinogänger nicht einfach macht, dem Gesehenen überhaupt folgen zu können.

the father szene 2Bild: Szene aus "The Father" (c) Tobis Film

Um die drastischen Auswirkung der Krankheit auf das darzustellen, was wir als das Ich bezeichnen würden, und darauf, wie ein Mensch die Realität wahrnimmt, konzentriert sich das Werk beinahe durchgehend darauf, die Ereignisse der Handlung aus der Sicht des Erkrankten zu zeigen, lediglich abgerundet durch kleine Details und Gesprächsschnipsel von anderen Personen, damit das Publikum nicht komplett hilf- und orientierungslos bleibt.

Unterm Strich bedeutet das, dass das, was wir zu sehen und hören bekommen, für Anthony die Gegenwart darstellt und die Realität, in welcher er sich befindet. Für den Zuschauer und die Nebenfiguren gilt dies aber nicht. Weder Personen, noch Orte, Gesichter oder Ereignisse sind im Endeffekt in Wirklichkeit so, wie wir sie zu sehen bekommen, sondern so, wie die Hauptfigur sie wahrnimmt. Klingt verwirrend? Ist es auch. Soll es auch sein.

Hinzu kommen Sprünge vor und zurück im Zeitablauf, die ihrerseits untermalen, wie durcheinander die Erinnerungen eines Demenzkranken sind und wie wenig man sich als Außenstehender darauf verlassen darf, dass eine solche Person irgendeine Form von Wirklichkeit so wahrnimmt wie ein gesunder Mensch dies tut. Diese Sprünge, in Kombination mit ausgetauschten Schauspielern, sich geringfügig aber stetig verändernden Schauplätzen und widersprüchlichen Aussagen, machen es sehr schwer zu begreifen, was eigentlich gerade passiert.

Obwohl die Geschichte am Ende durchaus Sinn ergibt und alle losen Fäden miteinander verknüpft werden, ist dies nicht unbedingt leicht zu erkennen und vielleicht sogar noch etwas schwerer nachzuvollziehen. Bei der Sichtung von „The Father“ ist auf jeden Fall ein hohes Maß an Empathie, Auffassungsvermögen und Aufmerksamkeit gefragt, ansonsten wird das Werk zu einem merkwürdigen Durcheinander, dass lediglich durch die fantastische Performance von Anthony Hopkins getragen wird.

The Father: Schlicht aber beeindruckend

Nichts an „The Father“ drängt sich auf oder fordert einen Platz im Fokus. Weder die Kulissen, noch die Kameraeinstellungen oder sonst irgendwas. Alles ist äußerst schlicht gehalten und vor allen Dingen auf den Punkt gebracht. Dieser Film dreht sich komplett und in jeder Hinsicht um eine Figur, nämlich Anthony, und alles andere ist zweckdienlich, bodenständig und der Realität so nah, dass der Film beinahe wie eine auf Hochglanz polierte Dokumentation wirkt, und nicht wie ein Drama aus Hollywood.

Mit spannenden Wendungen, intelligenten Tricks bei der visuellen Umsetzung und einem durchweg exzellenten Hauptdarsteller, ist „The Father“ eigentlich ein Film, an dem es absolut nichts auszusetzen gibt, und doch kann und will ich dieses Werk nicht vorbehaltlos empfehlen, denn es eignet sich, wie zuvor schon angedeutet, definitiv nicht für jedermann. Zellers Drama ist schwer, kompliziert und mitunter verwirrend, niederschmetternd, traurig und auf jeden Fall etwas, das einem schwer im Magen liegt.

Das ist eben das Los eines wirklich hervorragenden Dramas. Es eignet sich nur für vergleichsweise wenig Zuschauer, macht nicht glücklich, sondern einfach nur betroffen, und wer Kino nicht in all seinen Facetten liebt sondern lediglich Möglichkeit sieht, sich unterhalten zu lassen, kann mit einem solchen Film einfach nichts anfangen. Alle anderen, und vor allen Dingen jene unter euch, die sich kein Detail entgehen lassen, während sie sich dennoch komplett auf die Handlung einlassen können, dürften schnell erkennen, dass „The Father“ ein Meisterwerk ist.

Fazit

Das Drama von Florian Zeller ist in jeder Hinsicht exzellent gelungen. Jedoch kann er nur einem kleinen Kreis von Menschen empfohlen werden, da der Film sich in erster Linie für aufmerksame und empathische Zuschauer eignet, aber eben diese bei der Sichtung nicht glücklich werden, sondern einfach nur deprimiert. Ein Film, nach dem man mindestens ein Stückchen Schokolade braucht, wenn nicht vielleicht doch lieber eine ganze Tafel. Im Austausch für die schlechte Stimmung erhaltet ihr aber auch einen technisch einwandfreien Film mit einem Hauptdarsteller in Höchstform.

Bewertung: 5/5*****


the father Filmplakat


Bild: Das deutsche Filmplakat zu "The Father" (c) Tobis Film GmbH