„Strange World“ Filmkritik: Disney auf den Spuren von Jules Verne

  

von Heiner Gumprecht | 21.11.2022

Wenn die Traumschmiede Disney einen neuen Animationsfilm auf den Markt bringt, muss man unweigerlich darauf achten, ob das Werk im Kino zu sehen sein wird oder ob es exklusiv für den hauseigenen VoD-Sender Disney+ erscheint, denn so lässt sich fast immer bereits im Vorfeld klären, welche Qualität geneigte Zuschauer erwartet. Dass man sich dazu entschieden hat, „Strange World“ auf der großen Leinwand debütieren zu lassen, ist also bereits ein gutes Zeichen für zumindest annehmbare Unterhaltung auf einem gewissen Niveau.

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Bild: „Strange World“ (2022). ©The Walt Disney Company

Strange World: Eine Kritik

Deutlich mehr dürft ihr von dem Werk der Regisseure Don Hall und Qui Nguyen aber nicht erwarten. Denn die Schöpfer versuchen einfach zu viel unter einen Hut zu bringen, weswegen der Science-Fiction-Animationsfilm immer mal wieder vom Weg abkommt, sich in den eigenen Vorgaben verheddert und Eckpunkte der Handlung, die durchaus Gewicht haben, lediglich anschneidet. Der an sich lobenswerte Versuch, so ziemlich jedem gefallen zu wollen und jedermann Identifikationsfiguren zu geben, wird hier zum Stolperstein.

Denn wer knappe eineinhalb Stunden so vollstopft, muss damit rechnen, dass gewisse Dinge einfach zu kurz kommen, worunter im schlimmsten Fall der Erzählfluss zu leiden hat. Ganz zu schweigen von jeglicher Kontinuität und gewissen Detailfragen. Unterm Strich bedeutet das, dass ihr lieber zur Zielgruppe zwischen sechs und zwölf Jahren gehört oder wirklich gut darin seid, eine Fünf auch mal grade sein zu lassen und bei logikfremden Szenen zwei Augen fest zuzudrücken, während das Gehirn fröhlich gelüftet wird.

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Bild: „Strange World“ (2022). ©The Walt Disney Company

Sollte diese Beschreibung auf euch zutreffen oder ihr seid einfach sehr gut darin, euch unterhalten zu lassen, ohne über das Gezeigte allzu viel nachzudenken, könnt ihr aber durchaus Spaß mit „Strange World“ haben, denn das Werk hat nicht nur das Herz am rechten Fleck, sondern auch pfiffige Lebensweisheiten, clevere Eigenideen und viel Humor, der vor allen Dingen Kinder ansprechen dürfte. Das Fehlen eines klassischen Bösewichts rundet das Erlebnis zusätzlich ab und erlaubt dem Werk eine erinnerungswürdige Pointe.

Hinzu kommt, dass der neue Animationsfilm aus dem Hause Disney wirklich hübsch ist und viele spannende Designs zeigt, die nicht nur von hohem Einfallsreichtum zeugen, sondern auch von viel Liebe zum Worldbuilding. Das Werk zeigt sich geschickt darin, Kinogänger abzuholen, abschalten zu lassen und in fremde Welten zu entführen, die eine faszinierende Schönheit inne haben. Doch genauso wahr ist leider, dass die meisten Figuren eher zweckdienlich ausgearbeitet wurden und es kaum Möglichkeiten gibt, ihre Handlungen nachvollziehen zu können.

Hauptfiguren mit Persönlichkeit

Während die drei Hauptfiguren, Searcher (Jake Gyllenhaal), Jaeger (Dennis Quaid) und Ethan (Jaboukie Young-White), genügend Persönlichkeit haben, dass ihre fehlende psychologische Tiefe kaum auffällt, verkommen die Nebencharaktere zu reinen Werkzeugen, um gewisse Details der Handlung voranzubringen und dem Publikum gelegentliche Gags entgegenzuschleudern. Viele Zufälle und zusammenhanglose Passagen untermauern die negative Wahrnehmung zusätzlich, was aber zum Glück unterm Strich nicht zu sehr ins Gewicht fällt.

„Strange World“ hat dafür einfach zu viele Stärken und eine viel zu liebenswürdige Art, mit gewissen Themen und der Schwere des Seins umzugehen. Die Sanftheit der Kernidee geht hier Hand in Hand mit gefühlvollen Momenten, einer spürbaren Wärme und natürlich einem rührenden Happy End. Gelegentliche Anspielung auf einen gewissen Roman von Jules Verne inklusive. Wer hier nach Easter Eggs und anderen Anspielungen Ausschau hält, wird nicht enttäuscht werden, braucht aber gegebenenfalls eine zweite Sichtung.

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Bild: „Strange World“ (2022). ©The Walt Disney Company

Vor allen Dingen optisch ist „Strange World“ äußerst ansprechend, denn Disney verknüpft hier geschickt das, was man von dem Konzern mit der Maus erwartet, mit skurrilen, faszinierenden und ebenso absonderlichen Landschaften sowie Kreaturen. Der Film mit einer Liebe für groteske Welten in Pastellfarben überzeugt mit einem deutlich sichtbaren Bruch zwischen Natur und Technik und einer visuell greifbaren Aussage, wenn es darum geht, wie wir als Menschen mit unserer Umwelt umgehen. Jedoch ohne dabei zu aufdringlich zu werden.

Wären die Schöpfer dieses Films nicht so extrem darauf bedacht gewesen, die Handlung mit allem zu spicken, was irgendwer sich irgendwo wünschen könnte, „Strange World“ wäre vielleicht eine klare Empfehlung für so ziemlich alle Junggebliebenen. Doch so ist es leider, was es ist und für einen kurzen Ausflug in eine Utopie im Fantastischen reicht das auch völlig aus. Ob dieser Film länger im Gespräch bleibt als er im Kino laufen wird, möchte ich bezweifeln, doch er wird seine Anhänger finden und bestimmt in einigen Regalen landen.

Fazit

Der neue Animationsfilm von Walt Disney möchte viel und noch viel mehr Zuschauern gefallen, was sich leider negativ auf das Gesamtergebnis auswirkt, denn die Laufzeit bietet nicht genügend Platz, um alle Bereiche des Werks überzeugend umzusetzen. Der größere Teil dieses Abenteuerfilms ist nichtsdestoweniger sehr gut gelungen und strahlt eine angenehme Wärme aus, gespickt mit nettem Humor, vielen liebenswerten Einzelideen und einem schönen Mix aus Schwere und Leichtigkeit.

Bewertung: 3/5***


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Bild: „Strange World“ (2022). ©The Walt Disney Company