„The Northman“ Filmkritik – Ein vollkommener Alptraum in trüben Farben

  

von Heiner Gumprecht | 16.04.2022

Es ist nicht weiter schlimm, solltet ihr noch nie von der Arbeit des Regisseurs Robert Eggers gehört haben, doch wer sich für düstere Filme interessiert, die durch Bildgewalt sowie Atmosphäre bestechen und dabei wie von Sporen infiziert von märchenhaftem Horror durchzogen werden, sollte auf jeden Fall mal einen Blick in seine Werke riskieren, denn mit Produktionen wie „Der Leuchtturm“ und „The Witch“ hat der US-Amerikaner sein Fingerspitzengefühl für melancholische wie gleichsam erschreckend dunkle Streifen bereits bewiesen.

The Northman Filmszene 001 ©Universal Pictures.Bild: „The Northman“ (2022) ©Universal Pictures

Diesem Ansatz bleibt er auch in seiner neuesten Kreation treu, die auf den Namen The Northman hört und regulär am 21. April 2022 in die Kinos kommt. Das Werk wartet mit erstklassigen Schauspieler*innen wie Ethan Hawke, Alexander Skarsgard, Nicole Kidman und Anya Taylor-Joy auf und verspricht bereits in den offiziellen Trailern, mindestens genauso schwermütig und düster zu sein wie die zuvor genannten Arbeiten. In der Realität ist „The Northman“ aber noch deutlich abgründiger sowie vielschichtiger.

The Northman: Eine Kritik

Die alten Nordmänner - raubende Seefahrer, die in einer kalten, harten Welt überlebt haben - sind heutzutage in erster Linie dafür bekannt, dass sie meist die Küste entlanggesegelt sind und alles geklaut haben, was nicht niet- und nagelfest war. Und das, was es war, wurde niedergebrannt. Doch der Austausch zwischen den anderen Völkern und den Wikingern war nicht annähernd so einseitig wie manch einer zu glauben scheint und tatsächlich haben diese seeerfahrenen Mannen ebenfalls allerlei Handel getrieben.

Auf diese Weise wurden auch Geschichten ausgetauscht und kaum eine halbe Ewigkeit später, lernten die Briten die Legende von Amletus, also der ursprünglichen Version von Hamlet, mit der William Shakespeare einen Kassenschlager gelandet hat. Viele Details wurden abgeändert und je nach Gebiet in der Welt, wo diese Mär weitergegeben wurde, haben sich größere wie kleinere Details verändert und ganze Kapitel wurden neu hinzugedichtet beziehungsweise rausgeschnitten. Nach Jahrhunderten des hin und her ist die Geschichte nun wieder im Nordland angekommen.

Robert Eggers malt in „The Northman“ seine eigene Variante dieser Erzählung und benutzt dafür hauptsächlich dunkle Farbtöne und lichtscheue Szenerien, während er gleichzeitig auch andere Legenden mit einbezieht und diese in die Handlung webt, wie beispielsweise die Artus-Legende. Das Ergebnis ist ein fieberhafter Alptraum, in dem mit allerlei Regeln der Filmkunst gebrochen wird und der sich nicht zu einer Minute bemüht, dem Publikum gefallen zu wollen. Eggers verzichtet auf Helden, sieht die Welt nicht in gut und böse und hält nichts von Verharmlosung.

The Northman Filmszene 004 ©Universal Pictures.Bild: „The Northman“ (2022) ©Universal Pictures

The Northman: Wenn das Blut gefriert

Diese Version von Hamlet (beziehungsweise Amletus) ist ein Abtauchen in die Abgründe des menschlichen Seins, ein Wiedererkennen dessen, was der Mensch tief in seinem Inneren noch immer ist: ein Tier. So ist die Hauptfigur Amleth (Alexander Skarsgard) mental auch deutlich näher am Wolf, dessen wilde Art ihn früh geprägt hat und der seine Rache gewordene Gier nach Gerechtigkeit nicht nur auf einer Ebene verkörpert. Die Symbolkraft des Tiers ist sowieso ein wichtiger Teil in Amleths Geschichte.

Auf der Jagt nach seinem verräterischen Onkel (Claes Bang), der einst Amleths Vater König Aurvandil (Ethan Hawke) getötet hat, geht er jedoch berechnend und voller Geduld vor, überlässt nichts dem Zufall und zügelt seine Gier nach Vergeltung in solchen Maßen, wie es für seine Pläne nötig ist. Worte werden mit wenigen Ausnahmen nur dann gewechselt, wenn es seiner Sache dient, während die Taten, die er für sein Ziel begeht, brutaler und animalischer kaum sein könnten. Also ein äußerst gefährlicher Wolf.

Doch genau sowenig wie sich der Protagonist dafür interessiert, dass die Menschen, die ihm im Weg stehen, selber Gefühle, Ängste und Hoffnungen haben, interessiert sich der Regisseur für die mentale Gesundheit der Kinogänger*innen. Sein Film nimmt kein Blatt vor den Mund, schönt keine Szene und scheut sich nicht davor, so brutal zu sein wie das Leben der Wikinger einst war. Die packende Atmosphäre schnürt geneigten Zuschauer*innen stattdessen Hand in Hand mit der expliziten Gewalt regelmäßig die Kehle zu.

Das beinahe 135 Minuten lange Werk schenkt dem Publikum nur wenige entspannte Momente, die genutzt werden, um die Entscheidungen der Hauptfigur verständlich zu machen und zu einem bestimmten Finale hinzuarbeiten. Positiv überraschen dabei vor allen Dingen die melancholischen Landschaftsaufnahmen, die unerlässliche Liebesgeschichte und das Spiel zwischen Realität und Fiktion, das stets dafür sorgt, dass „The Northman“ auf einem Seil zwischen Übersinnlichem und Bodenständigkeit tanzt.

The Northman Filmszene 002 ©Universal Pictures.Bild: „The Northman“ (2022) ©Universal Pictures

The Northman: Keine Helden

Wie schon angedeutet gibt es in Robert Eggers' Film keine Held*innen, niemand ist glasklar gut oder böse, dafür gibt es allerlei Figuren, die schwer traumatisiert sind und durch die Auswüchse ihrer mentalen Krankheiten abstoßend wirken. Besonders gut wird dieser nackte Wahnsinn von Hauptdarsteller Skarsgard dargestellt, dessen Rolle die geballte Last der Tragödie auf dem Rücken zu tragen scheint, während die stoisch und unbeirrt einem Eid folgt, den sie in einem anderen Leben geleistet hat.

Die Performance des schwedischen Schauspielers ist mehr als nur lobenswert und bereichert das Werk enorm. Sein faszinierendes Spiel ist fast so stark wie Eggers' Fähigkeit, die schauderhafte Legende durch Bild und Ton perfekt abzustimmen, lässt aber gleichzeitig andere, ebenfalls erstklassige Darsteller*innen etwas blass wirken. Dennoch leisten auch seine Kolleg *innen überdurchschnittlich gute Arbeit, allen voran Nicole Kidman, die ihr Schauspiel erstklassig auf die Kernaussage des Films abgestimmt hat.

Dieser Film ist aber auch ohne Blick auf die Schauspieler*innen ein blutrotes Kunstwerk, das für sich alleine stehen kann und in jedem Bereich überzeugt. Definitiv kein Film für jedermann und sicherlich ein Streifen, der viele Kinogänger*innen sauer aufstoßen lässt, doch technisch nichtsdestoweniger einwandfrei umgesetzt, voller eigener, erstklassiger Ideen, die dazu führen, dass es sich hierbei um genauso viel Poesie wie Film handelt.

Fazit

„The Northman“ ist brutal, melancholisch, düster, traurig, widerlich, poetisch, zynisch, wunderschön und absolut tragisch. Technisch einwandfrei in Szene gesetzt, voller wahnhafter aber genauso erstklassiger Ideen und nicht selten an der Grenze des Zumutbaren, jedoch ohne dies zu erzwingen. Mehr poetisches Märchen als Film, mehr Fiebertraum als Handlung und mehr altertümliche Legende als moderne Erzählung. Kein Film für die Massen aber ein Werk, das sich jeder Cineast und jeder Fan von Wikingern unbedingt angesehen haben sollte.

Bewertung: 5/5*****

The Northman Filmszene 003 ©Universal Pictures.Bild: „The Northman“ (2022) ©Universal Pictures

The Northman Filmszene 005 ©Universal Pictures.

Bild: Das deutsche Filmplakat zu „The Northman“ (2022) ©Universal Pictures